Mörderische Diebesgang

Mörderische Diebesgang

„Lasst mich doch in Ruhe! Hilfe! Hiiilfe!“, schrie ich, doch als Antwort erhielt ich nur lautes Gelächter und glucksendes Gekicher. Ich schrie in meiner hysterischen Panik noch einmal um Hilfe, aber ich wusste, dass mich niemand in dieser dunklen Gasse hätte hören können. Sie sah schon beim Betreten düster und gefährlich aus, doch ich dachte, es wäre eine Abkürzung zur Schule. Ich hielt meine Schultasche eng um meinen Körper geschlungen, wie man es bei einem Überfall tun sollte.
Ich versuchte es nochmal: „Wenn ihr mich nicht in Ruhe lässt, rufe ich die Polizei…“
„Versuch’s doch! Du schaffst es sowieso nicht.“ Das war das erste Mal, dass einer der Maskierten etwas sagte. Ich schrie auf, so sehr erschrak ich mich. Sie kamen immer näher und näher. So langsam, als ob sie gerne sähen, wie jemand leidet. Auf einmal hörte ich aus der Ferne eine Sirene, die immer näher kam. Sekunden später blendeten uns Blaulicht und Autoscheinwerfer. Ich spürte, wie die Hoffnung in mir aufkeimte und als ich hörte, wie jemand murmelte: „Mist! Die Bullen kommen!“, hätte ich Luftsprünge machen können, so erleichtert war ich. Während die Polizisten ausstiegen, sah ich noch wie die Maskierten über die Häuser verschwanden.
„Halt! Sofort stehen bleiben!“, dröhnte die Stimme eines Polizisten durch ein Megaphone. Ich sah wie die Polizisten an den Leitern hochkletterten. Doch als sie oben ankamen, waren die Maskierten schon längst verschwunden. Ein gutaussehender Mann in einem grauen Anzug kam auf mich zu. Bei mir angekommen, stellte er sich als „Thorben Barrymore, Detektiv“ vor. Er fragte mich, wie ich heiße. „Marica Roth“, stotterte ich.
„Also, Marica“, fing er an. „Du kommst mit mir und den Polizisten hier“, er deutete auf die Leute in Uniform hinter sich. „Aufs Revier. Dort befragen wir dich und dann kannst du nach Hause, okay?“
Stumm nickte ich. Detektiv Barrymore geleitete mich zu Auto und auch die Polzisten stiegen ein und fuhren los. Als der größte Schock vorbei war und mein Gehirn zu arbeiten begonnen hatte, fragte ich: „Woher wussten sie, dass ich in Schwierigkeiten war und wo?“
„Ähm, jemand hat dich in die Gasse gehen sehen und dachte, du wärst in Gefahr, weil er einige Leute über die Dächer rennen sah. Also hat er die Polizei gerufen“, antwortete er langsam nach einer Weile. Verwundert über seine verzögerte Antwort schwieg ich. Dann fragte ich weiter: „Wer waren denn die Maskierten?“
„Das waren jugendliche Ausreißer mit psychischen Problemen: Armanda und Laslo Haas,  Joêl Britten, Eriko Thomas Connery, Cyprienne Bolender, Iduna-Lena Atwood, Milana Sandra Satherland,  Larry Braithwaite und der Anführer Ekarias Marseilles. Sie haben sich zu einer jugendlichen Diebesgang zusammengeschlossen und nenne sich ‚The Black Masks‘. Und wenn sich jemand ihnen in den Weg stellt, kann es sein, dass er nicht mehr zu leben hat. Es hat schon einige Todesfälle gegeben“, erklärte der Detektiv langsam. Schockiert starrte ich ihn an. Diese Information musste ich erstmal sacken lassen.
Nach einigen Minuten sagte Barrymore: „Du kannst aussteigen. Wir sind da.“
Mechanisch stieg ich aus und folgte den Polizisten. Barrymore blieb die ganze Zeit an meiner Seite. Ich beobachtete ihn heimlich aus den Augenwinkeln. Er sah eigentlich noch sehr jung aus. Er hatte kurzgeschnittene, schwarze Haare, kantige Gesichtszüge und unter seinen schlichten, grauen Anzug zeichneten sich leicht Muskeln ab. Insgesamt sah er sehr attraktiv aus.
„Herr Barrymore“, sprach ich ihn an.
„Nenn mich doch Thorben! Sonst fühle ich mich so alt!“
Er grinste mich schief an.
„Also, Thorben, wie alt bist du?“, fragte ich vorsichtig.
Überrascht schaute er mich an: „Wie alt ich bin? Ich bin achtundzwanzig. Wieso fragst du, Marica?“
„Aus Neugierde“, ich zuckte mit den Schultern. „Du siehst so jung aus!“
Er lachte: „Ich weiß. Das sagen viele. So, hier rein, wenn ich bitten darf.“
Ich betrat ein geräumiges Büro mit zwei Schreibtischen. Ein freundlich aussehender Polizist kam auf mich zu und stellte sich als Henry Durinc vor. Ich betrachte ihn. Herr Durinc hatte etwas längeres, blondes Haar, wo man schon die ersten grauen Strähnchen erkennen konnte und kleine, lächelnde blauen Augen mit kleinen Lachfältchen. Außerdem trug er eine Uniform. Herr Durinc bat mich, mich zu setzen. Ich folgte seiner Bitte, während er schon anfing zu reden: „Okay, Marica. So heißt du doch?“
Ich nickte. Der Polizist fuhr fort: „Gut. Dann erzähl mir erstmal, was passiert ist. War ein ganz schönes Abenteuer.“
„Na ja, schön war es nicht“, antwortete ich. „Aber ein Abenteuer war es schon. Also, ich ging durch die Gasse, weil ich dachte, dass es eine Abkürzung zur Schule wäre. Ich war sowieso schon zu spät dran…“

Eineinhalb Stunden später

„So, das warst. Du kannst gehen. Deine Mutter wartet bestimmt schon draußen.“
Erleichtert, dass es vorbei war, ging ich zur Tür. Dort hielt Thorben mich nochmal auf. Er hielt mir einen Zettel entgegen.
„Hier. Falls dir noch etwas einfällt oder du Hilfe brauchst: Du kannst mich immer anrufen.“
Perplex nahm ich den Zettel und ging raus. Draußen wartete mittlerweile hysterische Mutter auf mich.
„Marica, mein Engel, ist dir was passiert?“
Thorben, der unbemerkt aus dem Büro gekommen war, antwortete ihr: „Ihre Tochter ist in einer Gasse überfallen worden. Von den ‚Black Masks‘!“
Meine Mutter wurde total blass.
„Aber…aber wie konnte das passieren?“, fragte sie stotternd.
„Sie war zur falschen Zeit am falschen Ort, Frau Roth. Passen sie in nächster Zeit bitte auf ihre Tochter auf“, antwortete Thorben. Stumm nickte meine Mutter. Dann sagte sie: „Komm Marica. Fahren wir nach Hause!“ Sie ging zum Auto und stieg ein. Nach einigen Sekunden folgte ich ihr.

Eine Wochen später

Ich haderte jetzt schon seit zwei Wochen damit, ob ich Thorben anrufen soll oder nicht. Eigentlich war ich total neugierig, wie weit er mit seinen Ermittlungen ist. Ich schaute nun schon seit geschlagenen dreieinhalb Minuten auf den Zettel mit seiner Handynummer, der schon ziemlich abgegriffen aussah, da ich ihn schon oft in die Hand genommen hatte. Schließlich nahm ich mein Handy, ein brandneues Galaxy S8, und tippte Thorbens Nummer ein.
„Thorben Barrymore am Apparat. Wer will mich sprechen?“, erklang seine Stimme.
„Ich bin es nur. Marica Roth“, antwortete ich. „Wie weit bist du schon mit den Ermittlungen gegen die ‚Black Masks‘? Ich wollte dich eigentlich schon eher angerufen haben, aber ich wollte dich nicht stören.“
„Aber Marica“, erwiderte Thorben freundlich. „Du störst mich nicht. Ich habe mich schon gefragt, wann du anrufen würdest. Jetzt mal zu deiner Frage: Ja, ich bin schon weiter gekommen. Morgen gehe ich zu der Gasse, wo sie dich angegriffen haben.“
Ich erschauderte bei der Erinnerung.
Thorben sprach weiter: „Außerdem hege ich die Hoffnung, dass dort irgendwo ihr Versteck ist. Und ich habe gehört, dass wir in unseren Reihen einen Verräter haben.“
„WAS?“, ich schrie fast.
„Hey, du musst mir doch nicht so ins Ohr schreien!“, sagte er ruhig.
„Tut mir leid“, flüsterte ich beschämend. „Ich war nur so erschrocken.“
„Kann ich verstehen, ich kann es selbst kaum glauben. Willst du mich morgen vielleicht begleiten?“, fragte Thorben zögerlich.
Ich ließ die Frage erst mal auf mich wirken und überlegte schließlich, was ich antworten soll. Plötzlich fragte Thorben, ob ich noch dran wär.
„Ja, ich bin noch da. Ich habe nur überlegt“, sagte ich.
„Ach so. Und wie lautet deine Antwort?“, fragte er. Ich merkte ihm an, dass er Angst vor meiner Antwort hatte.
„Ja“, antwortete ich bewusst ruhig. Ich hatte zwar Angst, aber ich wollte irgendwie helfen.
„Ja, ich komme morgen mit. Wann soll ich da sein?“
„Am besten so früh wie möglich. Mmmmh, vielleicht so gegen neun Uhr?“ Er klang erleichtert.
„Gut ich werde da sein. Bis morgen!“
Und damit war das Gespräch beendet.

Am nächsten Tag, kurz vor neun Uhr

„Oh, hi. Du bist ja schon da“, begrüßte Thorben mich, als er mich sah.
„Ja. Ich konnte nicht länger warten“, erwiderte ich. Er lachte. Dann betrachtete ich seine Kleidung. Thorben trug nur schwarze Sachen. Verwundert zog ich eine Augenbraue hoch, fragt aber dann was anderes: „Okay. Wollen wir dann gehen?“
Ich bemühte mich, meine Stimme nicht zittern zu lassen. Besorgt schaute Thorben mich an, nickte aber dann. Ich ließ ihn vorrangehen. Nach einer Weile hörte ich auf einmal ein Geräusch, als würde hinter mir landen. Ich zuckte zusammen und drehte mich langsam und bedächtig um… und schrie! Ein paar Meter von mir entfernt stehen drei Maskierte. Panik erfüllte mich.
„Thorben!“, schrie ich. Er antwortete nicht. Ängstlich warf ich einen Blick über meine Schulter und sah ihn. Er lehnte sich lächelnd an die Wand.
„Verdammt, Thorben, was soll das?“, flüsterte ich entsetzt.
„Was das soll?“, wiederholte er gelassen. Dann lachte er boshaft: „Du hast es immer noch nicht kapiert, was? Ich habe es satt, andauernd den lieben, sympathischen Detektiv spielen zu müssen. In Wirklichkeit gehöre ich zu den ‚Black Masks‘!“
 Seinen Worten folgte lautes Gejohle! Ich spürte, wie das Blut in meinen Adern gefrierte.
„Dann bist du ja der Verräter!“, rief ich erschrocken aus.
Ja, das stimmt, sagte Thorben stolz.
„Und ich habe dir vertraut!“, flüsterte ich schließlich empört. Thorben zuckte mit den Schultern.
„Das haben sie alle. So, aber bevor wir das hier in die Länge ziehen, beenden wir es lieber. Oder was meint ihr?“
Unheilvolle Schreie und Rufe antworteten ihm. „Na, dann wäre es ja geklärt.“
Langsam kam er auf mich zu. Ich erstarrte, als ich verstand. Sie wollten mich umbringen!
Ich flehte verzweifelt: „Oh nein! Bitte nicht! Wieso ich? Ich bin doch nur ein harmloses Mädchen. Bitte tut das nicht!“
Tränen rollten mir über die Wangen. Plötzlich umschlangen mich von hinten zwei kraftvolle Arme und hielten mich so fest, dass ich mich nicht mehr bewegen konnte. Dann flüsterte mir ein Mädchenstimme ins Ohr: „Wenn du nicht sofort still bist, wird es noch schmerzvoller! Dafür werde ich sorgen!“
Sofort verstummte ich. Still flehte ich, dass es schnell gehen möge. Und dann sah ich, wie Thorben auf einmal ein langes, glänzendes, scharf aussehendes Messer in den Händen hielt. Mir stockte der Atem. Plötzlich wurde mein Kopf so brutal an den Haaren nach hinten gezogen, dass ich vor Schmerzen schrie. Kurz darauf spürte ich das kalte Metall  des Messers an meiner Kehle.
„Noch irgendwelche letzten Worte?“, fragte Thorben boshaft. Ich merkte, wie warmes Blut aus der Wunde lief. Ängstlich schwieg ich.
„Keine letzten Worte? Na dann…“ Thorbens Worte ließen mich erzittern. Dann spürte ich wie das Messer sich in mein Fleisch grub. Ich wurde auf den Boden geworfen, doch ich spürte den Aufprall kaum. Ich keuchte und schnappte vergeblich nach Luft. Ich konnte noch nicht einmal Schreien. Nach einer gefühlten Ewigkeit holte ich ein letztes Mal rasselnd nach Luft und es wurde dunkel…

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